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Pädagogik

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Die Aufgabe der Umgebung ist nicht, das Kind zu formen, sondern ihm zu erlauben, sich zu offenbaren.
- Dr. Maria Montessori

Pädagogische Grundlagen

Vorbereitete Umgebung

Kinder wachsen in eine Gesellschaft hinein und werden Teil davon. Mit jedem Entwicklungsschritt werden sie selbständiger und gleichzeitig mehr und mehr ein Mitglied ihrer Kultur.

Sie eignen sich die Sprachen an, die sie umgeben; sie bewegen sich so, wie es Erwachsene und andere Kinder in ihrem Umfeld tun; sie lernen sogar so zu denken und zu fühlen, wie es um sie herum üblich ist. Die Umgebung prägt Kinder in allen Aspekten der Entwicklung. Dr. Maria Montessori beobachtete Kinder über Jahrzehnte und erkannte den ungeheuren Einfluss der Umgebung auf die gesunde Entwicklung der Kinder. Aus ihrer jahrelangen Forschungs- und Entwicklungsarbeit entstanden die wissenschaftlich fundierten Grundlagen für eine optimale Umgebung für Kinder der verschiedenen Altersstufen. Sie nannte dieses Konzept „vorbereitete Umgebung".

Die vorbereitete Umgebung umfasst sowohl den Raum und die Einrichtung, als auch die Lehrpersonen und die anwesenden Kinder.

Die Räume sind hell und freundlich, die Möbel sind kindgerecht in Grösse, Stabilität und Gewicht. Die Kinder können sich frei in den Räumen bewegen, selbst Tische und Stühle nach ihren Bedürfnissen umstellen. Die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen entwickelten Montessori-Materialien sind nach klaren Regeln in den offenen Regalen angeordnet. Jedes Material hat seinen festen Platz, ist vollständig und funktionstüchtig und ist frei für die Kinder zugänglich. Dies hilft den Kindern, sich im Raum zu orientieren, selbständig tätig zu werden und durch diese äussere Struktur ihre innere Ordnung aufzubauen.

Die Lehrpersonen sind die Verbindung zwischen dem Montessori-Material und dem Kind. Sie zeigen dem Kind Arbeiten, die es anschliessend jederzeit selbst ausführen kann. Montessori-Lehrkräfte sind zusätzlich zur pädagogischen Grundausbildung besonders in Didaktik und Methodik geschult und können den Kindern die einzelnen Arbeiten perfekt Schritt für Schritt vorzeigen, was zu grossem Lernerfolg und Lernfreude führt.

Zur vorbereiteten Umgebung gehören neben dem Raum, der Einrichtung und den Lehrpersonen die anwesenden Kinder. Kinder lernen sehr viel von anderen Kindern; besonders altersgemischte Gruppen bieten eine grosse Vielfalt an Lern- und Lehrmöglichkeiten. Ältere Kinder kennen die Regeln einer Montessori-Klasse, können viele Arbeiten selbständig ausführen und sind mit der vorbereiteten Umgebung vertraut. Sie helfen den jüngeren Kindern, sich zurechtzufinden, ihre Materialien korrekt an den vorgesehenen Platz zurückzustellen und vieles mehr. Zudem erlaubt die Altersdurchmischung, dass jedes Kind einmal die Rolle des jüngsten, einmal die des mittleren und einmal die des ältesten Kindes je ein ganzes Jahr lang erleben kann. Dieses Miteinander in der Gemeinschaft einer Klasse und das Durchlaufen der verschiedenen Rollen fördert nicht nur den starken Gemeinschaftssinn der Kinder, sondern auch ihre individuelle Entwicklung als Persönlichkeit.

Die vorbereitete Umgebung geht weit über das Klassenzimmer hinaus, denn nicht alle Aspekte von Natur, Wissenschaft und Kunst können und sollen in das Klassenzimmer hineingebracht werden. Im Kindergarten gehören Ausflüge in den Park oder in den Zoo sowie Theater-, Konzert- und Museumsbesuche zum Unterricht. Die Kinder der Primarschule planen selbständig Ausflüge bekannt als „Going-out" in kleinen Gruppen zu Themen, die für sie aktuell sind. Sie besuchen Museen und Ausstellungen, treffen sich mit Experten an der Universität oder der ETH und machen Beobachtungen oder Untersuchungen vor Ort. Eine Begleitperson ist bei einem „going out" stets dabei, beobachtet genau, hält sich ganz im Hintergrund und schreitet nur bei Bedarf ein.

Montessori-Material

Das Montessori-Material ist sogenanntes „Entwicklungsmaterial" und wichtiger Bestandteil der vorbereiteten Umgebung.

Das Montessori-Entwicklungsmaterial wurde basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen hergestellt, getestet und weiterentwickelt, bis es optimal den Bedürfnissen der Kinder entsprach. Heute noch werden alle Montessori-Materialien von zertifizierten Herstellern in bester Qualität und mit grösster Sorgfalt produziert.

Kinder lernen, indem sie selbst mit grosser Begeisterung und Ausdauer aktiv etwas tun. Das Montessori-Entwicklungsmaterial ist so konzipiert, dass es diesen Anforderungen entspricht. Es zieht die Blicke auf sich und fordert die Kinder auf, es in die Hände zu nehmen. Es ermöglicht Aktivitäten, die die Aufmerksamkeit des Kindes fokussieren und es erlaubt den Kindern ihre Fehler selbst zu erkennen und zu verbessern.

Der Aufforderungscharakter des Materials soll die Kinder zu selbständigem Handeln anleiten. Im Idealfall weckt es Freude und Begeisterung, selbst mit diesen Materialien zu arbeiten. Diese Freude führt dazu, dass sich die Kinder mit ihrem ganzen Wesen auf eine Arbeit einlassen.

Wenn ein Erwachsener oder ein Kind sich mit ganzer Aufmerksamkeit einer Tätigkeit widmet und alles um sich herum vergisst, nennt man das „Polarisation der Aufmerksamkeit" oder „Flow". Diese Vertiefung in eine Arbeit führt zu nachhaltigem Lernerfolg und grosser innerer Freude. Ein Ziel der vorbereiteten Umgebung ist es, den Kindern immer wieder und immer öfter diese Flow-Erlebnisse zu ermöglichen.

Das Montessori-Entwicklungsmaterial hat eine eingebaute Fehlerkontrolle. Das Kind merkt nach getaner Arbeit selbst, ob es sie richtig ausgeführt hat oder nicht. Dies ist grundlegend für den Aufbau seines Selbstbewusstseins und seiner Selbständigkeit. Das Kind ist nicht abhängig vom Urteil eines Erwachsenen. Es kann seine Fehler selbst erkennen und verbessern. Ein selbst erkannter Fehler führt oft zur Polarisation der Aufmerksamkeit. Das Kind will unbedingt herausfinden, wo der Fehler liegt und vertieft sich voll und ganz in seine Tätigkeit.

Kinder entwickeln nicht nur ihre Fertigkeiten in den verschiedenen Themenbereichen durch aktives Tun, sondern sie wachsen auch als Persönlichkeit an ihren Herausforderungen, Fehlern und Erfolgen.

Freie Wahl der Arbeit

In der vorbereiteten Umgebung steht eine grosse Auswahl an Aktivitäten für die Kinder bereit.

Die Lehrpersonen beobachten die Kinder aufmerksam und zeigen ihnen ihrem Lernstand angemessene und ihrem Interesse entsprechende Arbeiten. Sobald einem Kind eine Arbeit präsentiert wurde, darf es diese jederzeit vom Regal nehmen und selbst ausführen. Schon nach kurzer Zeit im Kindergarten oder in der Schule steht einem Kind eine vielfältige Palette von möglichen Tätigkeiten zur Auswahl.

Das Kind entscheidet selbst, wann, mit wem und wie lange es eine Arbeit tun will. Dieses selbständige Entscheiden fördert die Entwicklung des eigenen Willens, das Selbstvertrauen und die Selbständigkeit. Die freie Wahl hat in einer Gemeinschaft jedoch Einschränkungen. So kann es vorkommen, dass ein Material zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht zur Verfügung steht, weil ein anderes Kind gerade damit arbeitet. Jedes Montessori-Material gibt es in der vorbereiteten Umgebung nur einmal. Dies hat zwei Gründe: Erstens erkennen die Kinder, dass das Material wertvoll ist und es deswegen nur einmal vorhanden ist und zweitens lernen die Kinder zu warten und Rücksicht zu nehmen.

Dieses Zusammenspiel von freier Wahl und den Einschränkungen der Gemeinschaft stärken sowohl die Persönlichkeit als auch den Gemeinschaftssinn der Kinder.

Soziales Lernen

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Dies zeigt die Forschung in Bezug auf die Entwicklung eines Kindes zum Erwachsenen und die Erfolgsgeschichte der Menschheit mit all ihren Errungenschaften.

Geniale Erfindungen der Menschheit wie die Schrift oder die Mathematik, grosse Bauwerke wie die Pyramiden oder technische Höchstleistungen wie Bau und Betrieb einer internationalen Raumstation waren nur durch die Zusammenarbeit vieler Menschen möglich, die Arbeitsteilung und somit Spezialisierung nach Begabungen beinhaltete.

Die gesunde Entwicklung eines Kindes spiegelt dieses ausgewogene Zusammenspiel von sozialer Entwicklung und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und Begabungen wider. Die vorbereitete Umgebung mit all ihren Aspekten (Montessori-Material, Lehrpersonen, andere Kinder) bietet dafür ein ideales Umfeld.

Die heutigen Kinder sind die Erwachsenen von morgen. Das grosse Ziel der Montessori-Pädagogik ist es, die Kinder dabei zu unterstützen, zu sozial starken Erwachsenen heranzuwachsen, die ihr eigenes Potential entfalten und leben.

Mehrklassenunterricht

Menschen leben in grösseren oder kleineren Gruppen zusammen. Ursprünglich waren diese Gruppen Familienverbände oder Dorfgemeinschaften.

Auch in der heutigen Zeit leben Menschen in sozialen Gefügen. Damals wie heute bestehen diese Gemeinschaften aus Menschen unterschiedlichen Alters. Mehrere Generationen leben im selben Haushalt, im selben Wohnblock oder im selben Quartier.

Deshalb entspricht das Prinzip der altersgemischten Klassen, wie es an einer Montessori-Schule üblich ist, einer natürlichen Form des sozialen Lebens und Lernens. Der Altersunterschied der einzelnen Kinder innerhalb einer Klasse sollte jedoch nicht zu gross sein, da ältere Kinder eine andere Lernumgebung als jüngere brauchen.

Maria Montessori stellte durch ihre Beobachtungen fest, dass die ideale Altersspanne innerhalb einer Lernumgebung 3 Jahre beträgt. Jedes Kind findet sich ein Jahr lang in der Rolle des jüngsten Kindes und erfährt Unterstützung und Hilfe durch die älteren Kinder. Ein Jahr lang gehört es dann zu den Kindern in der Mitte und kann immer noch die Hilfe älterer Kinder in Anspruch nehmen, ist jedoch gleichzeitig in der Lage, jüngere beim Entdecken der neuen Lernumgebung zu unterstützen. Schliesslich ist es ein Jahr lang bei den ältesten und stärkt sein Selbstvertrauen und seine Selbständigkeit, bevor es in die nächste Lernumgebung wechselt, wo es wieder zu den jüngsten Kindern gehört.

Über ihre eigene Lernumgebung hinaus haben die Kinder an der Montessori-Schule Berührungspunkte mit Kindern aus anderen Altersstufen. Kinder aus der Mittelstufe (9 – 12 Jahre) helfen zum Beispiel den Kindergartenkindern im Winter beim Anziehen, Kinder aus der Unterstufe (6 – 9 Jahre) lesen im Kindergarten vor, Kindergartenkinder besuchen die Mittelstufenkinder und erklären ihnen die Verhaltensregeln für die gemeinsamen Räume.

Bewegungsfreiheit

Die Entwicklung der Grob- und der Feinmotorik ist ein wichtiger Teil der gesunden Entwicklung eines Kindes.

Die vorbereitete Umgebung ist so eingerichtet, dass sich die Kinder jederzeit frei bewegen können. Damit alle sich wohl fühlen und ihren Tätigkeiten ungestört nachgehen können, lernen die Kinder, wie man sich in einem Raum bewegt, in dem Arbeiten von anderen Kindern auf Matten und Tischen ausgelegt sind, worauf man achten muss und dass man zum Herumrennen nach draussen geht.

Die Kinder dürfen jederzeit von ihrer Arbeit aufstehen und in der Lernumgebung umhergehen, ihre Arbeit vom Tisch auf eine Matte auf dem Boden verlegen oder ihre Arbeit wegräumen und eine andere Tätigkeit beginnen.

Die Kinder werden zudem angeleitet, die Kontrolle über ihren Körper zu schulen.

Im Kindergarten lernen sie zum Beispiel genau auf einer Linie zu gehen und dabei ein volles Glas Wasser mitzutragen oder beim Stille-Spiel üben die Kinder, ganz reglos dazusitzen und zu warten, bis ihr Name geflüstert wird und sie leise den Raum verlassen.

In der Unter- und in der Mittelstufe (6 – 9 Jahre und 9 – 12 Jahre) werden die grobmotorische Bewegungsfertigkeit zum Beispiel im Sportunterricht und die feinmotorische Bewegungsfertigkeit zum Beispiel in der Handarbeit weiter gefördert.

Die Kinder sollen ihren Bewegungsdrang ausleben und ihre Bewegungsfertigkeit im grob- und im feinmotorischen Bereich entwickeln und entfalten können.

Sensible Phasen

Die geistige Entwicklung eines Kindes verläuft wie das physische Wachstum nicht graduell, sondern schubweise.

Maria Montessori beobachtete, dass Kinder zu einem bestimmten Zeitpunkt ganz besondere Interessen entwickeln und für einzelne Aspekte des Lernens besonders empfänglich sind. Nach einer gewissen Zeit ebbt das Interesse wieder ab und etwas Neues fesselt die Aufmerksamkeit des Kindes.

Durch die Beobachtung von Kindern weltweit über Jahrzehnte hinweg erkannte Maria Montessori, dass diese Phasen grosser Lernbereitschaft bei allen Kindern im gleichen Alter und zu denselben Themen anbrechen und wieder verschwinden. Sie nannte diese Zeitfenster „sensible Phasen". Sie beobachtete, dass Kinder während der sensiblen Phasen mühelos komplexe Inhalte wie zum Beispiel eine oder gar mehrere Sprachen fehlerfrei und ohne Akzent lernen. Es gibt neben der sensiblen Phase für Sprache auch eine für Bewegung, für Ordnung, für Abstraktion, für Vorstellungskraft, für Gerechtigkeit und Ethik und weitere mehr. Die sensiblen Phasen ermöglichen es dem Kind, Teil seiner Kultur und seiner Gesellschaft zu werden.

Die vorbereitete Umgebung ist so aufgebaut, dass sie den natürlichen Bedürfnissen der Kinder entspricht und das ungeheure Entwicklungspotential der zeitlich begrenzten sensiblen Phasen optimal nutzt. Denn ist die sensible Phase vorbei, muss sich das Kind mit grosser Anstrengung aneignen, was es zuvor mit Leichtigkeit hätte lernen können.

Freiheit und Disziplin

Die Kinder in einer Montessori-Klasse wählen ihre Arbeit selbst aus und bestimmen, mit wem und wie lange sie daran arbeiten. Dazu dürfen sie jederzeit aufstehen und in der Klasse umhergehen.

Wie kann das funktionieren?
In einer Montessori-Klasse bestimmen ganz klare Regeln das Zusammenleben und -arbeiten. Hier zwei Beispiele solcher Regeln:
- Verhalte dich so, dass du keine anderen Kinder bei ihrer Arbeit störst.
- Lege das Material, das du nicht mehr brauchst, sofort nach Gebrauch vollständig und aufgeräumt an seinen Platz zurück.

Einerseits fördern diese klaren Regeln den Gemeinschaftssinn der Kinder und andererseits stärken sie die Persönlichkeit des Einzelnen. Freiheit und Disziplin sind die zwei Seiten einer Medaille. Je mehr Selbstdisziplin ein Kind entwickelt, umso mehr Freiheit wird ihm gewährt.

Dass Kinder einfach machen, was sie wollen, hat nichts mit der Montessori-Pädagogik zu tun. Im Gegenteil, die Kinder arbeiten mit Aktivitäten, die ihnen zuvor gezeigt worden sind. Die Montessori-Lehrkräfte beobachten zudem die Kinder mit grösster Aufmerksamkeit und entscheiden ganz bewusst, wann und wie sie auf ein Kind zugehen, was sie ihm zeigen und wie sie es unterstützen. Dies lässt den Kindern die Möglichkeit, die grundlegenden Lerninhalte selbständig zu meistern und auch in herausfordernden Situationen passende Lösungen zu finden.

Die Auswirkungen der Montessori-Pädagogik zeigen sich unter anderem darin, dass die Kinder lernen, Selbstverantwortung zu übernehmen, Selbstdisziplin zu entwickeln, sich als Teil einer Gemeinschaft wahrzunehmen und Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer zu nehmen, gleichzeitig aber auch fähig werden, für ihre eigenen Bedürfnisse einzustehen.